BERICHTE

Winter 2010

Ein Nachmittag um Mitte Dezember. Die tiefstehende Wintersonne scheint auf eine weiße Landschaft. Eine Landschaft, die unter einer 30 Zentimeter hohen Schneedecke verborgen ist. Auch der kleine See im Wald ist nach wochenlangen Dauerfrost komplett zugefroren. Auf ihm laufen einige Schlittschuh. Die Bäume sind mit Schnee und Rauhreif überzogen und überall glitzern Schneekristalle im Sonnenlicht. Die Fotokamera hat heute Hocheinsatz.


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Viel zu schnell neigt sich der kurze Wintertag seinem Ende zu. Die Sonne sinkt zum Südwesthorizont herunter und ihr Licht färbt sich von Gelb in ein zartes Orange und läßt die weiße Winterlandschaft in diesem Licht leuchten.


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Dies ist die schönste Zeit. Das Sonnenlicht wird immer zarter und läßt den Schnee schließlich in rosanen Farbtönen leuchten, während sich die tieforange Wintersonne langsam verabschiedet und unter dem Horizont sinkt.


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Es wird kalt und jetzt geht es nach zurück Hause. 5 Minuten später bin ich dort angekommen und betrete das kleine warme Wohnzimmer. Sofort wird die Fotokamera auf das Fotostativ gesetzt, denn es ist eine Fotoserie geplant. Das Fotostativ wird vor dem Stubentisch gestellt.

Im Zimmer ist es noch hell. Auf dem Tisch steht schon der Kosmosbrenner bereit, eine Petroleumlampe, in welcher der Docht zu einem Kreis geformt wird. Genauer ist es ein 10-liniger Kosmosbrenner. Eine Linie entspricht etwa 2,25 Millimeter. Gemeint ist damit die Breite des Dochtes, bei Rundbrennern wie diesem hier, etwa die halbe Breite des Dochtes, die bei einem 10-linigen Kosmosbrenner bei etwa 25 Millimetern liegt. Jeder der folgenden Schritte soll nun mit der Fotokamera und dem Selbstauslöser auf einem Bild festgehalten werden.


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Zunächst wird der lange Glaszylinder der Lampe abgenommen, der Docht hochgedreht und mit einem Zündholz angezündet. Die Lampe beginnt zu Leuchten und der Glaszylinder wird wieder aufgesetzt. Die Flamme wird zunächst niedrig gestellt, denn der Brenner muß erst einmal warm werden.


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Die Sonne ist schon untergegangen und die Abenddämmerung hat begonnen, aber noch fällt viel Licht durch das Fenster. Nach 5 Minuten ist der Kosmosbrenner warm genug, und die Flamme kann höher gestellt werden. Jetzt wird von der Lampe mit dem Fenster im Hintergrund alle 5 Minuten eine Aufnahme gemacht.


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Die Abenddämmerung schreitet voran und das Licht vom Fenster wird allmählich immer schwächer. Das tiefgelbe Petroleumlicht beginnt ganz zart das Zimmer von innen zu beleuchten. Immer mehr gewinnt es die Oberhand im Zimmer.

Schließlich sieht man zum Fenster blickend nur noch einen fahlen, blauen Lichtschein - die Reste der Abenddämmerung. Trotzdem sieht man noch deutlich, wie vom oberen Fensterrand kommend immer wieder kleine, schon fast schwarze Stellen das dunkle Himmelsblau verdecken. Von Osten ziehen rasch tiefe Wolken über den Himmel und verändern den fahlen Lichtschein am Fenster ständig. Vielleicht schneit es heute Nacht wieder?


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Während der fahle und sich ständig verändernde Lichtschein im Fenster immer schwächer wird, leuchtet im Vordergrund auf dem Tisch stehend der Kosmosbrenner. Er ist eine ausgereifte Konstruktion. Die Flamme leuchtet so ruhig und so gleichmäßig, dass man denken könnte, sie sei völlig starr, ähnlich wie auf einem Foto. Gleichzeitig geht von ihr eine gewisse Wärme aus.


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Aber wovon erzähle ich hier eigentlich? Von einem Dezemberabend im Jahr 1885?

Nein, aber es könnte einer sein. Wir schreiben das Jahr 2010, aber damals, vor etwa 125 Jahren, leuchteten solche Lampen um diese Zeit abends im Dezember in jedem Wohnzimmer und in fast jeder Küche. Heute sitze ich hier mit einer kleinen Digitalkamera, die auf einem Stativ vor den Stubentisch steht, und mache Bilder einer leuchtenden Petroleumlampe während es draußen immer dunkler wird.

Zwischen den Fotos schweifen die Gedanken immer wieder in die damalige Zeit zurück: Wie sahen damals die Zimmer aus, wo standen die Lampen und wie war es dort in den Abendstunden in diesem Licht? Was hat man da gemacht? Es gab kein Fernsehen, kein Radio, kein Telefon, keine Autos, keinen Strom und keine Elektronik. Nur das matte Licht dieser Lampen und geheizt wurde mit Öfen und Kaminen.... Aber halt, das nächste Foto muß wieder gemacht werden!


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Heute findet man im Internet alte Schriften, Fotos und Berichte aus jener Zeit, wo man einiges darüber erfahren kann, wie es damals war. Petroleumlampen schaffen gewöhnlich eine Lichtinsel, während der Rest des Raumes nur matt beleuchtet wird. Diese Lampen standen damals gewöhnlich auf dem Stubentisch, um den herum sich der Familienkreis versammelte.

Während das fahle Licht im Fensterausschnitt völlig verschwindet und in ein Schwarz übergeht, mache ich die letzten Fotos dieser Serie. Und danach noch einige Nahaufnahmen von der Lampe selbst.


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Anschließend wird die Lampe erstmal gelöscht und es geht in das Arbeitszimmer, wo es am PC noch einige Dinge zu tun gibt, u. a. auch die soeben erstellten Fotos draufladen, ansehen und die nicht gelungenen aussortieren. Und Abendessen steht danach auch noch auf dem Programm.

Sehr spät am Abend wird der Kosmosbrenner im Wohnzimmer nochmal angezündet und das Buch mit den "Weihnachtsgeschichten am Kamin" geholt. Das Licht des Kosmosbrenners reicht leicht zum Lesen. Die Geschichten sind meist ein oder zwei Seiten lang. Einige davon kann man jetzt am Ende des Tages gut lesen, wo es doch bald Weihnachten ist. Auch diese Stimmung wurde mit der Kamera festgehalten.


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Zum Abschluß kommen noch einige Musikstücke an die Reihe. Ein absolutes Muß sind heute Abend die Klavierwerke von Claude Debussy: "Arabesque Nr. 1", "Nocturne", "Sarabande" und natürlich das erste Klavierwerk von George Winstons Album "December". George Winston hat alle vier Jahreszeiten interpretiert; für jede ein Album. Aber auf keinem Album hat er so klar und tief gespielt wie auf "December". Und das hängt eindeutig mit dieser Jahreszeit zusammen. Die Gegensätze zwischen draußen und drinnen sind in keiner anderen Jahreszeit so ausgeprägt, wie jetzt im Winter.


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Herbst 2011

Im September sind die Tage schon deutlich kürzer geworden. Die Bäume verfärben sich ganz langsam in ein leichtes Braun, wobei das dunkle Grün aber noch überwiegt. Vereinzelt liegt schon das ein oder andere braune Blatt auf dem Boden. Der Sommer verabschiedet sich langsam und geht langsam in den Herbst über.


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In den nächsten Wochen bis Anfang Oktober übernimmt bei den Bäumen allmählich die braun- und goldgelbe Farbe die Regie. Langsam fallen immer mehr braune Blätter zu Boden, während es immer früher am Abend dunkel wird. Die Temperaturen fallen ebenfalls und das Wetter wird dynamischer, Regen und Sturm treten jetzt wieder auf.


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Mitte Oktober sind die schmalen Wege im Garten übersäht mit farbigen Blättern. Bei sonnigem Wetter erstrahlt alles in einer goldgelben Farbe. Der typische goldene Oktober hat Einzug gehalten. Die Abende werden länger und jetzt wieder mehr in der warmen gemütlichen Stube verbracht.

In meiner Kindheit sind wir im Oktober abends oft Laterne gegangen. Sowas bleibt in Erinnerung. Und das waren Laternen, wo sich im Innern eine richtige Kerze befand. Irgendwie scheint in einem eine besondere Beziehung zu diesem uralten Licht zu stecken, die in der Herbstzeit immer wieder in den Vordergrund rückt. Und die ist vermutlich auch verantwortlich dafür, dass ich im Herbst 1993 begann, kleine Petroleumlampen zu sammeln. Seitdem bringe ich besonders die Herbstzeit damit in Verbindung, während im Frühling und Sommer andere Dinge im Mittelpunkt stehen.


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Ende der 90er Jahre versiegte das Interesse an den Lampen, aber vor gut einem Jahr, im September 2010, wurde nach vielen Jahren die Sammlung der Petroleumlampen etwas erweitert. Und dieses Interesse kam wieder pünktlich zum Herbst. Im Internet suchte ich gezielt nach Informationen und fand eine ganze Menge zu diesem Thema, druckte vieles aus und legte einen Ordner an. Gleichzeitig lernte ich die Rundbrenner kennen, zu denen Kosmos- und Flammscheibenbrenner gehören. Wenig später folgte vom Flohmarkt mein erster Kosmosbrenner und kurz danach von einer Versandfirma zwei weitere, ein 10-liniger und ein 14-liniger als Neuware.

Im August 2011 kam noch ein zweiter 10-liniger Kosmosbrenner dazu. An einem Tag Anfang September 2011 nahm ich nachmittags die Fernbedienungen usw. von meinem kleinen Stubentisch herunter, stellte den neuen Kosmosbrenner in dessen Mitte und nahm davon einige Fotos auf. Das kleine Wohnzimmer in dem alten Haus macht von vornherein einen gemütlichen Eindruck, aber mit dieser Lampe auf dem Tisch hat sich das nocheinmal deutlich verstärkt. Man bekommt jetzt irgendwie sofort einen Schimmer von einer uralten Zeit.


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An einem späten Herbstabend im Oktober 2011 bin ich noch unterwegs und fahre auf dem Land eine schmale Nebenstrecke entlang. Es regnet und es ist windig, Regentropfen plätschern ständig auf die Windschutzscheibe. Im Licht der Scheinwerfer fallen vor mir immer wieder Blätter zu Boden. Tanzend bewegen sie sich nach unten, mal schnell, mal weniger schnell, je nachdem, ob gerade ein Windstoß kommt oder nicht.

Auf der schmalen nassen Straße liegen überall Blätter, die im Scheinwerferlicht auf dem dunklen Boden regelrecht leuchten. Kommt man in die Nähe eines Baumes, so liegt unter ihm eine ganze Insel von Blättern, die im Scheinwerferlicht gelblich leuchten und glitzern. Die Straße scheint kurzzeitig den Belag zu wechseln, man bewegt sich plötzlich durch ein Meer von im Dunkeln leuchtenden Blättern.


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Vor zwei Jahren fand ich durch einen Zufall das Klavierstück "Before The Last Leaf Falls" von David Lanz. Jetzt im Herbst habe ich es natürlich immer dabei und es läuft gerade. Sobald David Lanz beginnt dieses Werk zu spielen, hört man wirklich wie die Blätter fallen!


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Ich sitze warm und trocken und bin trotzdem mitten drin in der nächtlichen herbstlichen Natur. Dieses Wetter ist etwas zum Verbringen in der gemütlichen Stube. Und da gehen die Gedanken schnell wieder zu den Petroleumlampen, mit ihren weißen, cremefarbenen oder grünen Glockenschirmen oder den Kosmosbrennern ohne Glockenschirmen. Ihr sanftes, ruhiges und gelbes Licht kann gar nicht besser sein, es ist es heute eine echte Rarität geworden.


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Etwa 125 Jahre ist es her, wo diese Lampen in jedem Haushalt vorhanden waren, so wie heute Fernseher und CD- oder DvD-Spieler. Eine Zeitspanne, die viermal so lang ist, wie mein jetziger Lebensweg! Wie sah es wohl damals hier auf diesem Weg aus? Vielleicht ähnlich wie jetzt, denn hier draußen auf dem Land verändert sich ja oft nicht allzu viel, nur gab es damals kaum Maschinen, noch fast keinen Strom, keine Elektronik, kein Telefon, kein Fernsehen, kein Radio und keine Autos.

Aber das Wetter und die Jahreszeiten gab es damals genauso wie heute. Und genau in dieser Jahreszeit, wo ich jetzt im Regen durch die dunkle Herbstlandschaft mit ihren tanzenden Blättern fahre, leuchteten damals vor etwa 125 Jahren in jedem Haus Petroleumlampen. Entweder als Hängelampen über Stuben- oder Esstischen, als Tischlampen in der Stube oder als Wandlampen (sogenannte Küchenlampen), die meist in der Küche über dem Kohleherd an der Wand hingen.


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Die gerade eingelegte CD, die ich mir selbst aus mehreren CD's zusammengestellt habe, beinhaltet ausschließlich Klavier solo, und wird immer mitgenommen, wenn ich abends im Herbst und Winter unterwegs bin. Beliebte Klavierstücke sind die "Arabesque 1", "Nocturne" oder "Sarabande" von Claude Debussy. Überhaupt stammt diese Klaviermusik aus der Zeit der Petroleumlampen. In Verbindung mit diesem alten Licht spürt man wirklich einen Hauch dieser Zeit. Aber auch zu der nächtlichen Herbstlandschaft sind sie sehr passend.

Zu Hause angekommen ist es schon spät. Der PC wird nicht mehr eingeschaltet. Stattdessen wird der Docht des 10-linigen Kosmosbrenners im Wohnzimmer angezündet. Bei dieser Petroleumlampe wird ein breiter Docht kreisförmig zusammengerollt, was eine schlauchförmige Flamme ergibt. Zunächst bleibt die Flamme niedrig gestellt, da der Brenner eine kurze Anwärmzeit braucht. Die kleine Flamme wirft einen fahlen Lichtschein ins Zimmer.


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Nach etwa 5 Minuten kann die Flamme mit dem Dochtrad höher gestellt werden, bis ihre Spitze sich über der Einschnürung des Glaszylinders befindet. Der fahle Lichtschein verwandelt sich in ein helles gelbes Leuchten, welcher das gesamte Zimmer matt aber ausreichend ausleuchtet. Die Lampe erzeugt nun reichlich Licht und Wärme. Neben ihr kann man gut in einem Buch lesen. Aber jetzt kommt wieder die schon erwähnte CD mit den Klavierwerken von Claude Debussy an die Reihe.


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Debussy's Klavierwerke sind tiefgründig, ruhig und verträumt. Auch er saß damals Ende des 19. Jahrhunderts vermutlich an vielen Abenden im Schein einer Petroleumlampe.

Draußen regnet es immer noch. Die Flamme des Kosmosbrenners, geschützt durch den Glaszylinder, leuchtet so gleichmäßig, dass man denken könnte sie sei völlig starr. Und während Debussy spielt, kehren sich die Gedanken um: Während man vohin im Fahrzeug über den leuchtenden, nassen Blättern entlangfuhr, und an vom matten Schein der Petroleumlampen beleuchtete Stuben dachte, sitzt man jetzt selber in einer solchen und sieht in Gedanken wie draußen die Blätter im Regen von den Bäumen fallen...


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